Sendung verpasst? Die Landarztpraxis: Anhaltspunkte

Wenn man sich in eine Vorabendserie verliebt, dann oft in die leise Dramaturgie, in die kleinen, zwischenmenschlichen Katastrophen, die uns genauso treffen wie die großen Wendungen. Die Landarztpraxis gelingt genau das — mit Fabian, Sarah und einer Geschichte, die so nah an der Realität liegt, dass sie weh tut. In dieser aktuellen Handlung wird Sarahs schmerzhafte Erkenntnis zur Folge einer verzweifelten Sucht, die Fabian nicht mehr beherrschen kann. Eine Sucht nach Schmerzmitteln, die ihn nicht nur isoliert und fahrig macht, sondern ihn sogar dazu treibt, Sarahs Handtasche zu stehlen. Es ist dieser Moment, in dem nicht nur sein Leben aus den Fugen gerät, sondern auch ihre Beziehung auf eine harte Probe gestellt wird.

Was macht eine solche Geschichte so packend? Zunächst: Die Diskrepanz zwischen dem, was Sarah ahnt, und dem, was sie erfährt. Wir erleben mit, wie Sarah beobachtet, dass Fabian fahrig ist, seltsam reagiert, Aussprachen geschickt ausweicht. Das Ganze möglicher Weise mit Schuldgefühlen, aber auch mit Angst und großer Liebe. Man spürt: Sie will glauben, dass alles nur Stress sei — dass es eine harmlose Erklärung gibt. Doch je länger Fabian schweigt, desto mehr wächst der Verdacht.

Die Serie zeigt dabei nicht nur die Symptome der Abhängigkeit — also das Zittern, das Verstecken, das heimliche Beschaffen von Tabletten — sondern auch, was solch ein Verhalten anrichtet. Nicht nur bei dem Betroffenen, sondern bei allen, die ihm nahestehen. Sarahs Vertrauen wird Stück für Stück bröckelig. Sie muss sich entscheiden: ignorieren, leugnen, hoffen – oder konfrontieren. Und sie wählt Letzteres. Dieser Konflikt, diese innere Zerrissenheit, machen die Szene so kraftvoll. Dass Fabian gar so weit geht, Sarahs Handtasche zu stehlen, zeigt, wie sehr die Sucht ihn bereits in die Enge treibt — moralisch, psychisch, sozial.

Was die Geschichte besonders interessant macht, ist, wie Natur und Setting, wie kleine Gesten und Alltagssituationen benutzt werden, um mit dem Tabu Abrutschen in die Abhängigkeit zu ringen. Es ist kein lautes Drama, kein opzählerischer “falls du mich verlässt”‑Moment, sondern oft ein Blick, ein verstohlener Griff, ein leiser Streit. Die Serie vermeidet übermäßige Sensationslust — sie will, dass wir verstehen, nicht nur urteilen. Und das tut sie gut.

Aus psychologischer Sicht erinnert uns diese Handlung daran, wie subtil Sucht entstehen kann. Schmerzmittel werden verordnet, man nimmt sie vertrauensvoll, man braucht sie – und irgendwann gibt es kein Zurück mehr. Der Körper rebelliert, das Gefühl der Kontrolle schwindet. Man wird abhängig, nicht unbedingt gewalttätig, aber innerlich gefangen. Und wenn man verzweifelt ist, besorgt man sich Medikamente irgendwie, stiehlt vielleicht, lügt, vermeidet Gespräche. Fabian ist kein Bösewicht, sondern jemand, der verloren hat, sich selbst — in der Hoffnung auf Erleichterung, die immer nur kurz wirkt.

Für Sarah allerdings geht es um etwas anderes: um Liebe und Verrat, um Fürsorge, und um die Frage, wie viel man verzeihen kann. Wann Liebe überfordern wird, wenn das Gegenüber schweigt, wenn das Vertrauen gebrochen ist. Und wie man sich selbst schützen kann, ohne die Brücke abzubrechen. Der Moment, in dem Sarah Fabian zur Rede stellt, ist entscheidend: nicht nur, damit sich etwas ändert, sondern um klarzumachen, dass Wahrheit die Voraussetzung für Heilung ist.

Eine der starken Leistungen der Serie ist es, diesen Balanceakt zu zeigen: Wie soll man helfen, wenn man selbst verletzt ist? Wie soll man an die Seite stehen, ohne sich zu verlieren? Und wie wird aus einem kleinen Verdacht eine lebensbedrohliche Situation, wenn Sucht keine Intervention bekommt?

Man stellt sich als Zuschauer auch Fragen: Wie lange hat Fabian selbst das Gefühl, die Kontrolle zu haben? Wie viel Angst, wie viel Scham, wie viel Wut muss man aushalten, um endlich Hilfe zu suchen? Und wie viel Verantwortung liegt bei Sarah – kann sie tragen, was Fabian braucht? Oder ist Schuldzuweisung unvermeidlich?

Die Landarztpraxis leistet vieles, was gute Dramen leisten: Sie wirft keine ultimativen Urteile, sondern stellt Fragen. Fragen, die uns als Zuschauer nachdenklich zurücklassen. Fragen, die zeigen, wie nah Sucht an jedem von uns sein kann. Wir sehen nicht den Schlusspunkt, sondern einen Wendepunkt – und die Hoffnung, dass in Konfrontation auch der erste Schritt zur Heilung liegen kann.

Wenn man also mithört und -sieht, wenn Fabian endlich spricht oder wenn Sarah ihn zur Rede stellt – dann ist das, was auch uns bewegt: Wie weit geht Liebe – und wie stark kann man sein, wenn man nicht mehr weglaufen kann?